Ende April erklärte das Bundesverfassungsgericht Teile des 2019 erlassenen Klimaschutzgesetzes für verfassungswidrig, weil dieses die Interessen nachfolgender Generationen zu wenig berücksichtigt und konkrete Maßnahmen zur CO2-Reduktion auf die Zeit nach 2030 verschiebt. Infolge verpflichtete das oberste deutsche Gericht den Gesetzgeber in einem bahnbrechenden Urteil, spätestens bis 31. Dezember 2022 die Fortschreibung der Minderungsziele für Zeiträume ab dem Jahr 2031 zu regeln.
Klimaschutzgesetz mit deutlichen Mängeln
Mit Blick auf die fehlenden Minderungsziele ab dem Jahr 2030 wies das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in seiner Urteilsbegründung darauf hin, dass Klimaschutzmaßnahmen, die gegenwärtig unterbleiben, in Zukunft möglicherweise unter noch ungünstigeren Bedingungen ergriffen werde müssten und dann Freiheitsbedürfnisse und -rechte weit drastischer beschneiden würden. Mit seinem Urteil zwingt das BVerfG die Bundesregierung, zu handeln und bei den Klimaschutzzielen nachzubessern. Der Zentralverband der Deutschen Elektro- und Informationstechnischen Handwerke (ZVEH) hatte diese Forderung bereits mehrfach erhoben und immer wieder die unambitionierten Klimaschutzziele der Regierung und fehlende Ausbaupfade für Erneuerbare Energien moniert.
Konkreter Maßnahmenpfad bis 2040
Das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (BMU) hat auf das Urteil reagiert und am 10. Mai 2021 einen Entwurf zur Änderung des Klimaschutzgesetzes zur Verbändeanhörung vorgelegt, der heute vom Bundeskabinett verabschiedet wurde. Der Entwurf sieht sogar neue nationale Klimaschutzziele für den Zeitraum vor 2030 vor. Damit reagiert das BMU auch auf europäische Vorgaben. Das bestehende nationale Klimaschutzziel für das Jahr 2030 wird auf mindestens 65 Prozent erhöht. Für das Jahr 2040 gilt ein neues nationales Klimaschutzziel von mindestens 88 Prozent. Bis zum Jahr 2045 sind die Treibhausgasemissionen so weit zu mindern, dass Netto-Treibhausgasneutralität erreicht wird. Für die Jahre von 2031 bis 2040 werden in dem Entwurf sektorübergreifende jährliche Minderungsziele festgelegt. Aus diesen ergibt sich, wie vom Bundesverfassungsgericht gefordert, ein konkreter Minderungspfad bis zum Jahr 2040.
ZVEH kritisiert zu langes Warten
Das Gesetz legt nun zwar konkrete CO2-Reduktionsziele fest, offenbart nach Ansicht der elektrohandwerklichen Organisation allerdings die Folgen zu langen Wartens. Denn um den Treibhausgasausstoß zu reduzieren, bedarf es zusätzlicher und modifizierter Instrumente. Konkrete und verbesserte Maßnahmen aber können aufgrund der anstehenden Bundestagswahl und der anschließenden Regierungsbildung – 2017 hatte diese mehrere Monate in Anspruch genommen – frühestens im Frühjahr 2022 auf den Weg gebracht werden. „Bis die eingeführten Maßnahmen wirken, wird, das muss man ganz realistisch sehen, einige Zeit vergehen. Die Minderungswirkung zusätzlicher Maßnahmen wird sich damit größtenteils erst ab 2023 entfalten“, so eine Einschätzung von ZVEH-Präsident Lothar Hellmann.
Das hat auch die Bundesregierung erkannt, und daher die bislang geltenden Jahresemissionsmengen der Sektoren für das Jahr 2021 und für das Jahr 2022 beibehalten. Neue und niedrigere Grenzwerte für die Jahresemission legt der Entwurf erst für die Zeit ab 2023 fest und lässt, so die Kritik des ZVEH, damit weitere Jahre ungenutzt verstreichen.
Je später eingegriffen wird, desto härter wird es
„Zu spätes Handeln hat“, so auch Alexander Neuhäuser, stellvertretender ZVEH-Hauptgeschäftsführer, „negative Konsequenzen für zukünftige Generationen: Wir geraten mit der Einhaltung der tatsächlich erforderlichen Ziele ins Hintertreffen. Die Folge ist, dass wesentlich massiver eingegriffen werden muss, um noch gegensteuern zu können. Die nötige Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft muss jedoch vorausschauend geplant und daher auch rechtzeitig definiert werden.“
Paradigmenwechsel: Elektrifizierung als Schlüssel
Erfreulich ist indes, dass sich, was konkrete Maßnahmen zur Emissionsreduktion angeht, im Entwurf zur Änderung des Klimaschutzgesetzes ein Paradigmenwechsel abzeichnet. So wird die Bedeutung des Energiesektors für Emissionsminderungen in allen wichtigen Bereichen hervorgehoben. Gleichzeitig wird betont, dass es eine erfolgreiche Sektorkopplung nur über die Elektrifizierung weiterer Bereiche, allen voran Verkehr und Gebäude, funktionieren kann. Im Verkehrssektor ist, so ein Fazit des Gesetzesentwurfes, die Elektrifizierung von Fahrzeugen massiv voranzutreiben.
Die Festlegung des Minderungspfads im Gesetzentwurf basiert auf der Annahme, dass der Bruttostromverbrauch kontinuierlich zunimmt und bis zum Jahr 2040 fast vollständig über Erneuerbare Energien gedeckt werden kann. Erforderlich dafür ist insbesondere die direkte Nutzung elektrischen Stroms (Sektorkopplung) im Gebäude- und Verkehrssektor.
Keine Energiewende ohne E-Handwerke
Aus Sicht des ZVEH bedeutet das, dass der Ausbau Erneuerbarer Energien massiv beschleunigt und die direkte Nutzung erneuerbar erzeugten Stroms in allen Sektoren vorangetrieben werden muss. „Die zunehmende Elektrifizierung mit Strom aus Erneuerbaren Energien ist nicht das Übel der Energiewende, sondern die Lösung. Dabei gilt es, bereits heute alle verfügbaren technologischen Optionen zur Treibhausgasminderung zu nutzen“, so ZVEH-Präsident Lothar Hellmann: „Auf diese Weise werden nicht nur Investitionsanreize gesetzt. Es wird auch deutlich, dass die E-Handwerke als zukunftssichere Branche unabdingbar für die erfolgreiche Umsetzung der Energiewende sind.“
Der ZVEH: Der Zentralverband der Deutschen Elektro- und Informationstechnischen Handwerke (ZVEH) vertritt die Interessen von 49.949 Unternehmen aus den drei Handwerken Elektrotechnik, Informationstechnik und Elektromaschinenbau. Mit 515.715 Beschäftigten, davon 45.284 Auszubildende, erwirtschaften die Unternehmen einen Jahresumsatz von 68,4 Milliarden Euro. Dem ZVEH als Bundesinnungsverband gehören zwölf Landesverbände mit 320 Innungen an.
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