Ein internationales Team von Wissenschaftler*innen aus Deutschland, Italien, Schweden und Frankreich berichtet in der Fachzeitschrift Nature Physics (DOI: 10.1038/s41567-020-01040-y) von der experimentellen Beobachtung eines zwar zuvor bereits vorhergesagten, bislang allerdings nur schwer nachweisbaren Trägheitseffekts von Elektronenspins in magnetischen Materialien. Die Ergebnisse sind die Früchte eines der ersten Langzeitprojekte an der hochleistungsfähigen Terahertz-Lichtquelle TELBE des Helmholtz-Zentrums Dresden-Rossendorf (HZDR).

Der größte Teil des „Gedächtnisses“ der Welt ist heute auf magnetischen Datenträgern – Festplatten – gespeichert: Unser digitales Leben ist ohne sie nicht denkbar. Im magnetischen Material übernehmen dabei die sogenannten Spins der Elektronen die eigentliche Speicherung der Daten. Bildlich vorstellen kann man sich den Elektronenspin als Rotation der Elektronen um die eigene Achse. Diese Rotation kann entweder links oder rechts herum erfolgen – das entspricht den digitalen „Nullen“ und „Einsen“.

Dabei weist diese Rotation eine Besonderheit auf, wie Dr. Jan-Christoph Deinert vom HZDR-Institut für Strahlenphysik erläutert: „Das Elektron benimmt sich im Magnetfeld wie ein taumelnder Kreisel. Die Drehachse des Elektrons verändert ihre Richtung auf einer Kreisbahn. Ein Vorgang, den wir Präzession nennen. Bei äußerer Störung sollte die Drehachse außerdem kleine Schwingungsbewegungen vollführen, die die Präzession überlagern. Diese sogenannte Nutation ist, wie auch die Präzession, Merkmal vieler rotierender Objekte, etwa von Spielzeugkreiseln bis hin zu Planeten wie der Erde. Nur ist die Nutation aufgrund ihrer deutlich geringeren Größenordnung ungleich schwerer zu beobachten.“

Dem Team ist es nun gelungen, die Nutation dieser Spins anzuregen und zu messen: Und zwar in dünnen magnetischen Schichten, wie sie auch in Festplatten verwendet werden. Die gemessene Nutationsperiode bewegt sich dabei in der Größenordnung von einer Pikosekunde, dem Tausendstel einer milliardstel Sekunde. Bei ihren Experimenten stellten die Physiker*innen fest, dass die Nutation der magnetischen Spin-Achse 1000 Mal schneller ist als die vergleichsweise langsame Richtungsänderung in Form der Präzessionsbewegung, ein bemerkenswert ähnliches Verhältnis wie bei der Erde.

Grundstein für die ultraschnelle Datenspeicherung

Diese Entdeckung ist ein wichtiger Baustein für das bisher überraschend geringe Verständnis ultraschneller magnetischer Prozesse und damit ein Schritt zu noch schnelleren, kompakteren und energetisch effizienteren Technologien zur Datenverarbeitung. Dafür müssen die Forscher*innen jedoch zunächst die zugrundeliegende Dynamik von Prozessen auf Zeitskalen von billionstel Sekunden einschließlich ihrer Trägheitsdynamik als Quelle der Nutationsbewegung verstehen. „Die etablierten mathematischen Modelle gingen bisher von einer Art eingebautem Tempolimit solcher Prozesse aus. Wir können aber zeigen, dass extrem schnelle Effekte wie die Nutation tatsächlich auftreten und damit eine wichtige Rolle für dynamische Prozesse beim Schreiben von Daten spielen können“, erläutert Nilesh Awari, der die Arbeiten intensiv während seiner Promotion und als Postdoktorand am HZDR begleitet hat.

„Dies ist der erste direkte experimentelle Beweis für die Trägheitsbewegungen von Magnetspins“, erklärt der italienische Physiker und Teamleiter Stefano Bonetti, Professor an den Universitäten Venedig und Stockholm, der ein ERC-Projekt (European Research Council) zu ultraschnellem Magnetismus koordiniert. „Auswirkungen unserer Arbeit erwarten wir unter anderem auf die Datenzentren, die fast die gesamte digitale Information der Menschheit speichern, da die Trägheitsdynamik besonders bei ultraschnellen Manipulationen der Spinausrichtung eine große Rolle spielen kann. Die Kenntnis der Nutationsperiode wird mit den zunehmenden Schreibgeschwindigkeiten, die mit schneller werdender Datenspeicherung einhergehen, immer wichtiger. Unsere erste Beobachtung dieser Bewegungen ebnet den Weg zu neuen Technologien, die zur Verbesserung der Effizienz unseres digitalen Alltags beitragen – immerhin verzeichnen diese unter allen menschlichen Aktivitäten den höchsten Anstieg des Energieverbrauchs.“

Intensive Terahertz-Strahlung treibt Effekte im Pikosekunden-Bereich an

Bei den Experimenten arbeiteten Wissenschaftler*innen mehrerer europäischer Laboratorien zusammen (HZDR, TU Chemnitz, Universität Duisburg-Essen, Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt, TU Berlin, Institute Polytechnique de Paris, Ca‘ Foscari Universität Venedig, Universität Neapel Federico II, Universität Neapel Parthenope und die Universität Stockholm), wobei die Schlüsselmessung dank des besonderen Experimentierumfelds am HZDR durchgeführt wurde, wie Jan-Christoph Deinert beschreibt: „TELBE ist in der Lage, die für das Experiment notwendige intensive Terahertz-Strahlung im Frequenzbereich zwischen Mikrowellen und Infrarot zu erzeugen. Die Terahertz-Strahlung wirkt als sehr intensiver magnetischer Puls auf der Pikosekunden-Zeitskala, was sich mit konventionellen Magneten nicht realisieren lässt.“

Die Gruppe um Stefano Bonetti war von Anfang an bei der Entwicklung und Nutzung der Terahertz-Quellen bei TELBE dabei. „Die ersten Experimente waren schwierig“, erinnert sich Bonetti. „Aber nach wenigen Jahren war die Maschine bereits sehr leistungsfähig. Die eigentlichen Messungen wurden dann über ein Jahr lang bei drei verschiedenen Messkampagnen im Nutzerbetrieb an TELBE durchgeführt, um die Reproduzierbarkeit dieses nie zuvor beobachteten Effekts zu überprüfen.“

Über Helmholtz-Institut Freiberg für Ressourcentechnologie

Das Helmholtz-Zentrum Dresden-Rossendorf (HZDR) forscht auf den Gebieten Energie, Gesundheit und Materie. Folgende Fragestellungen stehen hierbei im Fokus:

– Wie nutzt man Energie und Ressourcen effizient, sicher und nachhaltig?
– Wie können Krebserkrankungen besser visualisiert, charakterisiert und wirksam behandelt werden?
– Wie verhalten sich Materie und Materialien unter dem Einfluss hoher Felder und in kleinsten Dimensionen?

Das HZDR entwickelt und betreibt große Infrastrukturen, die auch von externen Messgästen genutzt werden: Ionenstrahlzentrum, Hochfeld-Magnetlabor Dresden und ELBE-Zentrum für Hochleistungs-Strahlenquellen.

Es ist Mitglied der Helmholtz-Gemeinschaft, hat sechs Standorte (Dresden, Freiberg, Görlitz, Grenoble, Leipzig, Schenefeld bei Hamburg) und beschäftigt knapp 1.200 Mitarbeiter – davon etwa 500 Wissenschaftler inklusive 170 Doktoranden.

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