Systeme mit komplexer Dynamik sind in der Natur und im Alltag allgegenwärtig: biologische Systeme wie das menschliche Herz zum Beispiel, oder auch Verkehrsmodelle, Wettersysteme und das globale Klima. Bei all diesen Phänomenen besteht der Wunsch, Vorhersagen treffen zu können. Es gilt, die zeitliche Entwicklung der dynamischen Variablen vorhersagen zu können, um ungewünschte Verläufe frühzeitig zu erkennen und entsprechende Vorkehrungen treffen zu können: Der behandelnde Arzt will vorhersagen können, wie sich bei seinem Patienten der Herzschlag verändern wird, Verkehrsdienste, wo ein Stau entsteht, und Meteorologen, wann Starkregen droht. Eine ambitionierte Aufgabe, denn all diese Systeme sind überaus komplex, ihre Verläufe sind, weil oft chaotisch, schwer zu berechnen und häufig liegen auch nur unzureichende Messdaten vor.
Der Bedarf an Algorithmen, mit denen genaue Vorhersagen getroffen werden können, wächst ständig. Damit wird der Energieverbrauch der elektronischen Geräte, die die Vorhersagen möglich machen, zum Problem. Denn mit der digitalen Revolution geht ein stetig wachsender Energiebedarf einher – und damit immer höhere Emissionen des klimaschädlichen Treibhausgases Kohlendioxid. Wissenschaftliche Hochrechnungen prognostizieren, dass schon in rund 10 Jahren die gesamte weltweite Produktion an elektrischer Energie nicht mehr ausreichen könnte, um den Leistungsbedarf der IT-Hardware zu decken.
Dr. Lina Jaurigue vom Fachgebiet Computer-Physik der TU Ilmenau, die die vierköpfige Nachwuchsforschungsgruppe leitet, weiß, dass in der zunehmend digitalisierten Welt Energieeffizienz ein Gebot der Stunde ist: „Wir entwickeln recheneffiziente Algorithmen, die nicht als Software auf einem herkömmlichen Computer implementiert sind, sondern mit physischer Hardware realisiert werden können. Anstatt, wie bisher, die unregelmäßigen Veränderungen eines Systems allesamt logisch miteinander verketten zu müssen, nutzen wir für die Algorithmen die inhärenten nichtlinearen Eigenschaften von physikalischen Elementen aus. Das ist ungleich energieeffizienter.“
Die Forschungsgruppe mit der Fachbezeichnung „Interpretierbare Modelle für effiziente analoge Zeitserienvorhersage“ stützt ihre Arbeiten auf das sogenannte Reservoir Computing, einen maschinellen Lernansatz aus dem Bereich der Künstlichen Intelligenz, bei dem feste, große, zufällig agierende Netzwerke als Reservoir benutzt werden, um Rechnungen durchzuführen. So könnte das als Reservoir dienende dynamische System zum Beispiel ein Netzwerk mikromechanischer Oszillatoren sein, oder auch ein optisch selbstrückgekoppelter Halbleiterlaser – die beide sehr energieeffizient betrieben werden können.
Zurzeit wird die Vorhersagefähigkeit von großen Reservoiren überwiegend statistisch analysiert und die Algorithmen zu interpretieren, ist nicht möglich. Die jungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler um die 35-jährige Dr. Lina Jaurigue werden ihre theoretischen Untersuchungen an kleinen Systemen mit Methoden der nichtlinearen Dynamik durchführen: „Wir erhoffen uns, so Einblicke in die tieferliegenden Mechanismen der Algorithmen zu bekommen und vor allem jene Eigenschaften zu erkennen, die nötig sind, um gute Vorhersagen machen zu können. Anschließend können die Größe und die Komplexität des trainierten Reservoirs bestmöglich reduziert werden, womit ein kompakter und an seine Aufgaben angepasster Algorithmus entsteht.“
Die Forschungsarbeiten von Lina Jaurigue und ihrem Team machen extrem energieeffiziente, hardware-basierte Edge-Geräte für die verschiedensten industriellen, medizinischen und wissenschaftlichen Anwendungen möglich – Hardware-komponenten an der Schwelle, an der die physische Welt digitalisiert wird: Kompakte Geräte, die Diabetespatienten präzise Vorhersagen ihrer Blutzuckerwerte machen oder die die Abnutzung von Verschleißteilen oder den Ausfall ganzer Maschinen vorhersagen.
Paper im Journal „Machine Learning, Science and Technology”: https://iopscience.iop.org/journal/2632-2153
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