„Eine Infektion mit dem bakteriellen Erreger Clostridioides difficile kann zu schweren Durchfallerkrankungen bei Mensch und Tier führen. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn das natürliche Mikrobiom des Darms gestört ist, etwa durch eine vorherige Behandlung mit einem Breitbandantibiotikum“, sagt Prof. Till Strowig, Leiter der Abteilung „Mikrobielle Immunregulation“ am HZI. „Dann findet C. difficile im Darm ideale Bedingungen vor und kann sich ungehindert vermehren – was zu schweren Durchfällen und Darmentzündungen führt, die auch chronisch werden können.“ Der Grund dafür ist, dass der Erreger sogenannte Dauerstadien ausbildet, die im Darm verbleiben und zu einem späteren Zeitpunkt – wenn die Bedingungen für ihn günstig sind – erneut zu einer Infektion führen können. Da die C. difficile-Infektion ebenfalls antibiotisch behandelt werden muss, und sich das Mikrobiom des Darms so nicht erholen kann, entsteht ein regelrechter Teufelskreis. Bei bis zu 25 Prozent der erstmalig Erkrankten treten später weitere Infektionen mit C. difficile auf. Etwa zehn Prozent der erneut erkrankten Patient:innen sterben an den Folgen der Reinfektion. Eine Infektion mit C. difficile ist nach dem Infektionsschutzgesetz beim Gesundheitsamt meldepflichtig. Übertragen wird der Erreger über Kontaktinfektionen.
„Die Antibiotika, die zur Behandlung einer C. difficile-Infektion heute üblicherweise eingesetzt werden, sind leider nicht so effektiv und nachhaltig wirksam, wie man sich das wünschen würde. An dieser Problematik setzt unsere Studie an“, sagt Strowig, der die großangelegte multidisziplinäre Kooperationsstudie gemeinsam mit Prof. Thilo Fuchs, stellvertretender Leiter des Instituts für molekulare Pathogenese am FLI, leitete. „Wir wollten herausfinden, ob und in welchem Maße der Naturstoff Chlorotonil A – er wird aus einem Bodenbakterium gewonnen – gegenüber C. difficile wirksam ist, und wie er darüber hinaus das Mikrobiom des Darms beeinflusst“, sagt Fuchs.
Am HIPS wird seit über zehn Jahren intensiv an Chlorotonil A (ChA) und seinen chemischen Varianten geforscht, um sie als potenzielle pharmazeutische Wirkstoffe zu verbessern und für eine mögliche zukünftige Anwendung am Menschen zu optimieren. Vor dem Hintergrund zunehmender Resistenzen ist die Entwicklung neuer antibiotischer Wirkstoffe dringend notwendig – und die Chlorotonilvarianten sehen die Forschenden als vielversprechende Wirkstoffkandidaten. „ChA hat ein breites antibiotisches Wirkspektrum gegenüber grampositiven Bakterien und bekämpft zum Beispiel effektiv den Krankenhauskeim Staphylococcus aureus, auch bekannt unter MRSA. Darüber hinaus wirkt ChA auch gegen den Malariaerreger“, sagt Prof. Rolf Müller, geschäftsführender Direktor des HIPS und Leiter der Abteilung „Mikrobielle Naturstoffe“ am HIPS sowie Koordinator des Bereichs „Neue Antibiotika“ am Deutschen Zentrum für Infektionsforschung (DZIF). „Für unsere Studie haben wir die beiden Wirkstoffkandidaten ChA und Chlorotonil B1-Epo2 ins Rennen geschickt. Uns hat dabei interessiert, wie sich ihre Wirksamkeit im Vergleich zu der des Antibiotikums Vancomycin verhält, das häufig bei Infektionen mit C. difficile eingesetzt wird.“ Für ihre Untersuchungen hat sich das Forschungsteam dabei eines breiten Methodenspektrums bedient und die Expertisen aller beteiligten Forschungseinrichtungen zusammengeführt. Es kamen mikrobiologische Methoden, Tiermodelle sowie modernste molekularbiologische Methoden (Multi-Omics) zum Einsatz. „Der multidisziplinäre Ansatz unserer Studie war ausschlaggebend dafür, dass wir so umfassende und ausgesprochen zufriedenstellende Ergebnisse erzielen konnten“, sagt Strowig, der auch am DZIF im Bereich „Neu auftretende Infektionskrankheiten“ forscht. Sein Kollege Fuchs fügt hinzu: „Ein besonderes Merkmal unserer Studie war die komplementäre Integration aller Daten in ein Modell, das die Bekämpfung zoonotischer Erkrankungen erleichtern kann.“
In mikrobiologischen Untersuchungen fanden die Forschenden heraus, dass die beiden Chlorotonilvarianten ähnlich gut gegen C. difficile wirkten wie Vancomycin. Ebenso wirksam erwies sich ChA im Mausmodell. „In den Versuchsreihen mit den Mäusen wurden die Antibiotika nach einiger Zeit abgesetzt – und dann kam es zum Überraschungseffekt“, sagt Arne Bublitz, Doktorand in der Abteilung „Mikrobielle Immunologie“ am HZI und Erstautor der Studie. „Die Mehrzahl der Mäuse, die zuvor mit Vancomycin behandelt wurden, erkrankten erneut. Von den Mäusen, die mit ChA behandelt wurden, hatte hingegen keine einzige Maus eine Reinfektion.“ Was genau steckte dahinter? Dieser Frage ging Bublitz in weiterführenden mikrobiologischen Untersuchungen nach. Er behandelte Dauerstadien von C. difficile mit ChA und versuchte diese danach zum Leben zu erwecken, indem er die für das Bakterium idealen Bedingungen herstellte. Doch es funktionierte nicht: Aus den behandelten Sporen entwickelten sich keine lebensfähigen Bakterienzellen. Und auch bei Mäusen, die mit ChA-behandelten Dauerstadien infiziert wurden, war die Krankheit deutlich abgeschwächt. „Wir konnten durch Waschungen mit Lösungsmitteln herausfinden, dass sich der Wirkstoff ChA höchstwahrscheinlich in der wasserabweisenden Hülle der Dauerstadien einlagert und dort eine Art Wirkstoffdepot bildet“, erklärt Bublitz. „Beginnt die Zelle auszukeimen, kommt sie so mit dem eingelagerten ChA in Kontakt und stirbt ab. ChA ist eines der ersten Beispiele für ein Antibiotikum, das in vivo sowohl Bakterienzellen als auch Dauerstadien bei niedrigen Wirkkonzentrationen effektiv bekämpfen kann“.
In einem weiteren Forschungsschwerpunkt der Studie ging es um die Auswirkungen von ChA auf das Mikrobiom. Dazu hat ein Forschungsteam des FLI Untersuchungen an Schweinen – deren Verdauungssystem dem des Menschen sehr ähnlich ist – durchgeführt. „Mithilfe eines breiten Spektrums an Multi-Omics-Methoden konnten wir zeigen, dass ChA das Mikrobiom des Schweins deutlich weniger schädigt als andere Antibiotika“, sagt Fuchs. „Darüber hinaus wirkte sich ChA deutlich negativ auf die Genregulation des Darmerregers aus.“ Strowig ergänzt: „Und auch im Mausmodell kamen wir zu erfreulichen Ergebnissen: Nach ChA-Gabe erholte sich das Mikrobiom des Darms schneller, als dies bei der Gabe anderer Antibiotika der Fall war. ChA scheint also tatsächlich sehr spezifisch zu wirken und das Mikrobiom in Bezug auf seine schützende Funktion nur wenig zu stören.“ Beide Wissenschaftler betonen dabei, dass der Wirkstoff ChA die Konzentration von Darmmetaboliten wie Prolin oder kurzkettige Fettsäuren, die das Wachstum von C. difficile fördern, nicht verändert – anders als dies bei herkömmlichen Antibiotika der Fall ist.
Chlorotonilvarianten sind vielversprechende Wirkstoffkandidaten für die Behandlung von C. difficile-Infektionen – das zeigen die Ergebnisse der Studie deutlich. „Insbesondere die Wirkung von ChA auf die Dauerstadien, die zu erneuten Krankheitsausbrüchen führen, könnte ein Meilenstein in der Behandlung von C. difficile-Infektionen bedeuten“, sagt Strowig. „Wir hoffen, dass wir mit unserer Studie dazu beitragen, dass naturstoffbasierte Wirkstoffforschung weiter vorangetrieben wird, um neue effektive Wirkstoffe für die Bekämpfung von Infektionskrankheiten aufzuspüren. Denn sie können womöglich an Zielstrukturen der Erreger angreifen, die mit den bekannten Mitteln bislang unerreichbar waren.“
Zur Studie:
Die Studie wurde durch das Deutsche Zentrum für Infektionsforschung (DZIF) und das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF; Konsortium InfectControl 2020) gefördert. Mehr über InfectControl 2020: https://www.innovation-strukturwandel.de/strukturwandel/de/unternehmen-region/die-initiativen/_documents/artikel/i-o/infectcontrol-2020.html
Originalpublikation:
Arne Bublitz, Madita Brauer, Stefanie Wagner, Walter Hofer, Mathias Müsken, Felix Deschner, Till R. Lesker, Meina Neumann-Schaal, Lena-Sophie Paul, Ulrich Nübel, Jürgen Bartel, Andreas M. Kany, Daniela Zühlke, Steffen Bernecker, Rolf Jansen, Susanne Sievers, Katharina Riedel, Jennifer Herrmann, Rolf Müller, Thilo M. Fuchs, Till Strowig: The natural product chlorotonil A preserves colonization resistance and prevents relapsing Clostridioides difficile infection. Cell Host & Microbe, 2023, https://doi.org/10.1016/j.chom.2023.04.003.
Helmholtz-Institut für Pharmazeutische Forschung Saarland:
Das Helmholtz-Institut für Pharmazeutische Forschung Saarland (HIPS) in Saarbrücken wurde im Jahr 2009 vom HZI und der Universität des Saarlandes gemeinsam gegründet. Die Forscher suchen hier insbesondere nach neuen Wirkstoffen gegen Infektionskrankheiten, optimieren diese für die Anwendung am Menschen und erforschen, wie diese am besten zu ihrem Wirkort im menschlichen Körper transportiert werden können. www.helmholtz-hzi.de/hips
Deutsches Zentrum für Infektionsforschung:
Im Deutschen Zentrum für Infektionsforschung (DZIF) entwickeln bundesweit mehr als 500 Wissenschaftler aus 35 Institutionen gemeinsam neue Ansätze zur Vorbeugung, Diagnose und Behandlung von Infektionskrankheiten. Ziel ist die sogenannte Translation: die schnelle, effektive Umsetzung von Forschungsergebnissen in die klinische Praxis. Damit bereitet das DZIF den Weg für die Entwicklung neuer Impfstoffe, Diagnostika und Medikamente gegen Infektionen. Mehr Informationen finden Sie unter www.dzif.de.
Friedrich-Loeffler-Institut:
Als Bundesforschungsinstitut für Tiergesundheit widmet sich das Friedrich-Loeffler-Institut (FLI) der Gesundheit lebensmittelliefernder Tiere. Zentrale Aufgaben sind die Prävention, Diagnose und Bekämpfung von Tierseuchen, die Verbesserung der Tierhaltung und -ernährung sowie die Erhaltung und Nutzung tiergenetischer Ressourcen. Das Institut für molekulare Pathogenese (IMP) am Standort Jena repräsentiert die Kompetenz des Friedrich-Loeffler-Instituts in der Erforschung bakterieller Infektionserreger. www.fli.de
Leibniz-Institut DSMZ:
Das Leibniz-Institut DSMZ – Deutsche Sammlung von Mikroorganismen und Zellkulturen GmbH ist die weltweit vielfältigste Sammlung für biologische Ressourcen (Bakterien, Archaea, Protisten, Hefen, Pilze, Bakteriophagen, Pflanzenviren, genomische bakterielle DNA sowie menschliche und tierische Zellkulturen). An der DSMZ werden Mikroorganismen sowie Zellkulturen gesammelt, erforscht und archiviert. Als Einrichtung der Leibniz-Gemeinschaft ist die DSMZ mit ihren umfangreichen wissenschaftlichen Services und biologischen Ressourcen seit 1969 globaler Partner für Forschung, Wissenschaft und Industrie. Die DSMZ ist als gemeinnützig anerkannt, die erste registrierte Sammlung Europas (Verordnung (EU) Nr. 511/2014) und nach Qualitätsstandard ISO 9001:2015 zertifiziert. Als Patenthinterlegungsstelle bietet sie die bundesweit einzige Möglichkeit, biologisches Material nach den Anforderungen des Budapester Vertrags zu hinterlegen. Neben dem wissenschaftlichen Service bildet die Forschung das zweite Standbein der DSMZ. Das Institut mit Sitz auf dem Science Campus Braunschweig-Süd beherbergt mehr als 83.000 Kulturen sowie Biomaterialien und hat rund 220 Beschäftigte. www.dsmz.de
Wissenschaftler:innen am Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung (HZI) untersuchen in Braunschweig und an anderen Standorten in Deutschland bakterielle und virale Infektionen sowie die Abwehrmechanismen des Körpers. Sie verfügen über fundiertes Fachwissen in der Naturstoffforschung und deren Nutzung als wertvolle Quelle für neuartige Antiinfektiva. Als Mitglied der Helmholtz-Gemeinschaft und des Deutschen Zentrums für Infektionsforschung (DZIF) betreibt das HZI translationale Forschung, um die Grundlagen für die Entwicklung neuartiger Therapien und Impfstoffe gegen Infektionskrankheiten zu schaffen. www.helmholtz-hzi.de
Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung GmbH
Inhoffenstraße 7
38124 Braunschweig
Telefon: +49 (531) 6181-0
Telefax: +49 (531) 6181-2655
http://www.helmholtz-hzi.de
Leiterin Presse und Kommunikation | Pressesprecherin
Telefon: +49 (531) 6181-1400
E-Mail: susanne.thiele@helmholtz-hzi.de
Wissenschaftsredakteur
Telefon: +49 (531) 6181-1405
E-Mail: andreas.fischer@helmholtz-hzi.de
Presse und Kommunikation
Telefon: +49 (681) 302-2601
Fax: +49 (681) 302-2609
E-Mail: presse@univw.uni-saarland.de