Sieben Monate Ampel-Koalition
Sieben Monate ist es nunmehr her, dass die Spitzen von SPD, Grünen und FDP ihren Koalitionsvertrag vorstellten. Auf 178 Seiten legten sie dar, wie sich Deutschland in den kommenden vier Jahren verändern soll, wie das Land aus ihrer Sicht ökologischer und sozialer wird und vor allem auch digitaler. Ganze 226-mal kommt allein das Wort „digital“ im Vertragstext vor.
Dass diese Zahl für sich noch keinen digitalen Fortschritt bedeutet, beweist der vorhergehende Vertrag der Großen Koalition. Rekordverdächtige 298-mal wurde seinerzeit die Rolle des Digitalen für die Innovationskraft und Zukunftsfähigkeit Deutschlands beschworen. Geschehen ist danach (zu) wenig.
Digitalisierung – Innovation – Zukunft
Vielleicht war das einer der Gründe, warum bereits Ende letzten Jahres nur knapp 40 % der Befragten einer repräsentativen civey-Umfrage wirksame Fortschritte beispielsweise bei der Digitalisierung der Verwaltung erwarteten. Knapp 43 % waren skeptisch, 17,5 % unentschieden.
Auch wenn anzuerkennen ist, dass der Krieg in der Ukraine Auswirkungen auf die Umsetzung der Ampel-Agenda hat: Die generelle Skepsis der Menschen in Bezug auf die Digitalisierungsarbeit der Bundesregierung hat in den letzten Monaten weiter zugenommen. Nach wie vor ist keine klare Strategie erkennbar. Vielmehr musste man mittlerweile das Scheitern bei der Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes (OZG) eingestehen. Erneut ein öffentliches Digitalprojekt, das nicht einmal in Ansätzen erfolgreich realisiert wurde.
Positiver Start – langwierige Entwicklung
Anstatt sich an die Arbeit zu machen, hat man monatelang damit verbracht, die konkreten Zuständigkeiten für Digitalisierungsthemen zwischen den Ministerien aufzuteilen und die Positionen nach parteipolitischem Proporz zu besetzen. Das in den letzten Tagen vorgelegte Strategiepapier zur Aufgabenverteilung bei der Digitalisierung beendet zwar zunächst die Strukturdiskussion. Allerdings ist zu bezweifeln, dass die vielfach ge- und verteilten Verantwortlichkeiten der Sache selbst zuträglich sind.
Die Skepsis schlägt sich deutlich in Umfragen nieder: Sahen Anfang des Jahres noch 41,4 % der Befragten positive Zeichen bei der Digitalisierung, sind es Stand heute nur noch 35,7 % (tiefster Wert Ende Mai 2022 30,2 %). Die Zahl der kritischen Stimmen stieg im selben Zeitraum von 52 auf 58,7 % (höchster Wert Ende Mai 62,9 %).
Als Begründung werden vor allem der Föderalismus und bürokratische Abläufe genannt – 67,4 % der Befragten sehen darin die Hauptursache des fehlenden Umsetzungsfortschritts. Die bisher unklaren Zuständigkeiten in den Ministerien benennen 47,1 % als Ursache, mangelnde politische Priorisierung 46,9 %.
Signifikant sind die Veränderungen beim Thema politische Führung. Sahen Anfang Mai 2022 noch 37 % der Befragten darin den Grund für die Verlangsamung, waren es einen Monat später bereits 45 %.
Die Digitalstrategie der Regierung
Auf der re:publica 2022 in der vergangenen Woche zeigte sich Bundeskanzler Scholz skeptisch, was das Tempo der Umsetzung einer Digitalstrategie betrifft. Zudem ist abzuwarten, ob die geplanten gesplitteten Zuständigkeiten zwischen den Ministerien eine effiziente Arbeit ermöglichen. Bleibt also offen, ob wir bald Fortschritt der Verwaltungsdigitalisierung in Deutschland sehen – effektive politische Führung inklusive.
Anmerkung: Henrik Tesch
Die in diesem Beitrag verwendeten Zahlen stammen aus repräsentativen Umfragen, die civey im November 2021, im Mai und Juni 2022 sowie seit Januar 2022 im Auftrag des Autors durchgeführt hat. Ausführliche Ergebnisse gibt es im Pressebereich.
Henrik Tesch, Jahrgang 1963, ist Regierungsdirektor a.D. Der Politikwissenschaftler hat bei der Landesregierung Sachsen-Anhalt gearbeitet und leitete seit 1999 die politische Kommunikation zunächst bei Cisco und ab 2005 bei Microsoft. Seit 2017 ist er als Strategieberater und Autor in Berlin tätig.
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