Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind mit rund 18 Millionen Todesfällen pro Jahr die häufigste Todesursache weltweit. Menschen mit Typ-2-Diabetes haben ein zwei- bis dreifach erhöhtes Risiko, einen Herzinfarkt oder Schlaganfall zu erleiden. Die Zahl der Betroffenen steigt seit Jahrzehnten kontinuierlich an. Schon jetzt leben in Deutschland über 8 Millionen Menschen mit Typ-2-Diabetes. Wissenschaftlichen Prognosen zufolge werden es im Jahr 2040 rund 12 Millionen sein. Entsprechend groß ist die Notwendigkeit, Biomarker zu identifizieren, die frühzeitig auf eine Krankheitsentstehung hinweisen können, um den Ausbruch verhindern oder zumindest abmildern zu können.
Bisherige Studien haben gezeigt, dass Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Typ-2-Diabetes eng mit dem Fettstoffwechsel verbunden sind. Um diese Zusammenhänge auf molekularer Ebene zu entschlüsseln, nutzen Wissenschaftler*innen seit einigen Jahren die sogenannte Lipidomik. Dabei handelt es sich um eine moderne analytische Methode, die sehr detaillierte Einblicke in die Fettsäureprofile im Blutplasma ermöglicht. Fettsäuren kommen im menschlichen Organismus hauptsächlich als Teil komplexer Moleküle vor, den Lipiden. Anhand ihrer molekularen Struktur werden sie in zahlreiche verschiedene Lipidklassen und -arten eingeteilt. Die Gesamtheit aller Lipide innerhalb eines Organismus bezeichnet man als Lipidom.
69 Lipide mit Erkrankungsrisiken assoziiert
Dr. Fabian Eichelmann, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Abteilung Molekulare Epidemiologie am DIfE und Wissenschaftler des Deutschen Zentrums für Diabetesforschung (DZD), untersuchte mit seinem Team die Fettsäureprofile in 2.414 Blutproben aus der EPIC-Potsdam-Studie. Die Proben wurden bereits in den 1990er Jahren entnommen und stammen unter anderem von Teilnehmenden, die in den Folgejahren eine Herz-Kreislauf-Erkrankung oder einen Typ-2-Diabetes entwickelt haben. Mittels Hochdurchsatz-Lipidomik bestimmten die Forschenden insgesamt 282 verschiedene Lipide, von denen 69 mit mindestens einer der beiden Erkrankungen assoziiert waren. „Ein statistischer Zusammenhang mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen zeigte sich bei 49 Lipiden, die hauptsächlich zu den Cholesterinestern und Sphingolipiden zählten“, sagt Eichelmann. „Mit Typ-2-Diabetes waren 12 Lipide assoziiert, wobei es sich mehrheitlich um Glycerin- und Phospholipide handelte. Ein Zusammenhang mit beiden Erkrankungen ließ sich bei 8 Lipiden erkennen, unter denen mehrere Monoacylglyceride hervorstachen.“ Auf molekularer Ebene stellten die Forschenden fest, dass Lipide mit höherem Risiko dazu tendierten, hauptsächlich gesättigte Fettsäuren zu enthalten, insbesondere Palmitinsäure.
Ernährungsumstellung zeigt Wirkung
Im zweiten Teil ihrer Untersuchungen wollten die Wissenschaftler*innen herausfinden, ob sich die risikoassoziierten Lipide durch eine veränderte Fettsäurezusammensetzung der Ernährung beeinflussen lassen. Eine 16-wöchige Interventionsstudie, die von den Kooperationspartnern an der University of Reading in England durchgeführt wurde, sollte Antworten liefern. Das Team um Julie Lovegrove rekrutierte 113 gesunde Frauen und Männer im Alter von 21 bis 60 Jahren und teilte sie zufällig in drei Gruppen ein. Die erste Gruppe erhielt eine Diät mit einem erhöhten Anteil gesättigter Fettsäuren. Für die zweite Gruppe gab es eine Diät, die reich an einfach ungesättigten Fettsäuren war. Und die dritte Gruppe bekam eine Diät mit einem hohen Anteil an einfach und mehrfach ungesättigten Fettsäuren. Die Diäten waren so konzipiert, dass die Gesamtenergieaufnahme in allen drei Gruppen gleich war, damit die Teilnehmenden weder Gewicht zu- noch abnahmen. Zu Beginn der Studie und vier Monate später erfolgte eine Blutabnahme, sodass die Wissenschaftler*innen die Fettsäureprofile im Blutplasma der Teilnehmenden bestimmen und vergleichen konnten. „Wir stellten fest, dass die Diäten mit einem erhöhten Anteil ungesättigter Fettsäuren im Vergleich zur Diät mit erhöhtem Anteil gesättigter Fettsäuren für eine Verringerung der risikoassoziierten Lipide und gleichzeitig für eine Steigerung der risikoarmen Lipide sorgten“, fasst Lovegrove zusammen.
Die Ergebnisse stützen die gängige Empfehlung, dass der Austausch gesättigter durch ungesättigte Fettsäuren in der Ernährung ein potenzielles Instrument für die Prävention von Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Typ-2-Diabetes ist. „Die identifizierten Lipide könnten als Biomarker für ein erhöhtes Risiko dienen. Zukünftige Risikovorhersage-Modelle könnten darauf aufbauen“, sagt Prof. Matthias Schulze, Leiter der Abteilung Molekulare Epidemiologie und der EPIC-Potsdam Studie am DIfE. Im nächsten Schritt wollen die Forschenden einen Lipidomik-Fingerabdruck im Blut identifizieren, der die Effekte einer Test-Diät abbildet und überprüfen, ob dieser mit dem Langzeitrisiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen assoziiert ist.
Publikation
Eichelmann, F., Sellem, L., Wittenbecher, C., Jäger, S., Kuxhaus, O., Prada, M., Cuadrat, R., Jackson, K. G., Lovegrove, J. A., Schulze, M. B.: Deep Lipidomics in Human Plasma – Cardiometabolic Disease Risk and Effect of Dietary Fat Modulation. Circulation in press (E-pub ahead of print) (2022). [Open Access] -> https://doi.org/10.1161/CIRCULATIONAHA.121.056805
Lipidomik
Die Lipidomik (engl.: Lipidomics) ist ein Zweig der Metabolomik. Sie dient der vollständigen Charakterisierung aller Lipide und ihrer Stoffwechselprodukte innerhalb eines Organismus. Für moderne Lipidomik-Analysen werden chromatographische und spektroskopische Methoden kombiniert, um auch sehr ähnliche Lipide voneinander unterscheiden zu können.
Empfehlungen zur Fettaufnahme von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung Fett liefert mit 9 Kilokalorien pro Gramm mehr als doppelt so viele Kalorien wie die gleiche Menge an Kohlenhydraten oder Proteinen und ist somit der Nährstoff mit der höchsten Energiedichte. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) empfiehlt Erwachsenen, maximal 30 Prozent der täglichen Energie in Form von Fett aufzunehmen. Für eine gesunde Ernährung ist jedoch die Fettqualität von größerer Bedeutung als die Fettmenge.
Den Hauptanteil der aufgenommenen Nahrungsfette sollten einfach und mehrfach ungesättigte Fettsäuren ausmachen, die u. a. in pflanzlichen Ölen, Nüssen und Fisch enthalten sind. Gesättigte Fettsäuren, die insbesondere in fettreichen Fleisch- und Milchprodukten vorkommen, sollten nur ein geringer Bestandteil der täglichen Fettaufnahme sein.
EPIC-Potsdam-Studie
Die European Prospective Investigation into Cancer and Nutrition (EPIC)-Potsdam-Studie ist eine bevölkerungsbasierte prospektive Kohortenstudie des DIfE. Sie ist Teil der EPIC-Studie, einer der größten Kohortenstudien der Welt, die das Ziel hat, Beziehungen zwischen Ernährung, Ernährungsstatus, Lebensstil und Umweltfaktoren sowie der Inzidenz von Krebs und anderen chronischen Krankheiten wie Typ-2-Diabetes zu untersuchen. Bei prospektiven Kohortenstudien wird eine große Gruppe gesunder Menschen zunächst umfangreich untersucht und anschließend über einen langen Zeitraum beobachtet, welche Krankheiten auftreten. Die Beobachtungen können Hinweise auf Risikofaktoren für häufige Erkrankungen liefern. Die ca. 27.500 Teilnehmenden der EPIC-Potsdam-Studie wurden zwischen 1994 und 1998 rekrutiert und untersucht, zum Beispiel der Blutdruck und die Körpermaße bestimmt. Außerdem wurden sie zu ihren Ernährungsgewohnheiten und ihrem Lebensstil befragt und Blutproben entnommen. Im noch immer laufenden Nachbeobachtungszeitraum wurden die Studienteilnehmenden bislang sechsmal zu ihren Ernährungsgewohnheiten, ihrem Lebensstil und aufgetretenen Erkrankungen befragt. Seit 2014 erfolgen in begrenztem Umfang auch Nachfolgeuntersuchungen.
FAME
Das VerbundprojektFAME („Fettsäuremetabolismus als Marker für Ernährung und kardiometabolische Gesundheit“) wurde im Rahmen der europäischen Programminitiative „Eine gesunde Ernährung für ein gesundes Leben“ (JPI HDHL) durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert. In dieser Initiative arbeiten EU-Mitgliedsstaaten, assoziierte Staaten sowie Kanada und Neuseeland zusammen, um die Ernährungsforschung über Ländergrenzen hinweg zu bündeln und zu stärken. Ziel der transnationalen Fördermaßnahme „Biomarker für Ernährung und Gesundheit“ der JPI HDHL war es, neue Biomarker zu identifizieren, die den Ernährungszustand erfassen und damit zur Aufklärung der Zusammenhänge zwischen Ernährung und Gesundheit beitragen können. Neben dem DIfE waren die Universitäten Navarra und Cordoba (Spanien) sowie Reading und East Anglia (Großbritannien) am FAME-Verbund beteiligt.
Das Deutsche Institut für Ernährungsforschung Potsdam-Rehbrücke (DIfE) ist Mitglied der Leibniz-Gemeinschaft. Es erforscht die Ursachen ernährungsassoziierter Erkrankungen, um neue Strategien für Prävention, Therapie und Ernährungsempfehlungen zu entwickeln. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören die Ursachen und Folgen des metabolischen Syndroms, einer Kombination aus Adipositas (Fettsucht), Hypertonie (Bluthochdruck), Insulinresistenz und Fettstoffwechselstörung, die Rolle der Ernährung für ein gesundes Altern sowie die biologischen Grundlagen von Nahrungsauswahl und Ernährungsverhalten. Das DIfE ist zudem ein Partner des 2009 vom BMBF geförderten Deutschen Zentrums für Diabetesforschung (DZD).
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-> www.leibniz-gemeinschaft.de
-> https://www.dzd-ev.de
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