Zur theoretischen Beschreibung der Turbulenz im Plasma von Fusionsanlagen des Typs Tokamak hat sich der im Max-Planck-Institut für Plasmaphysik (IPP) in Garching entwickelte Turbulenzcode GENE (Gyrokinetic Electromagnetic Numerical Experiment) bestens bewährt. Für die komplexere Geometrie der Anlagen vom Typ Stellarator erweitert, weisen die Computersimulationen mit GENE jetzt auf eine neue Methode hin, die Plasma-Turbulenz in Stellarator-Plasmen zu reduzieren. Dies könnte die Effizienz eines künftigen Fusionskraftwerks deutlich erhöhen.

Für die Fusionsforscher des IPP, die ein Kraftwerk nach dem Vorbild der Sonne entwickeln wollen, ist die Wirbelbildung in ihrem Brennstoff – einem Wasserstoffplasma – ein zentrales Forschungsthema. Die kleinen Wirbel bringen Teilchen und Wärme aus dem heißen Plasmazentrum nach außen und senken so die Wärmeisolation des magnetisch eingeschlossenen Plasmas. Weil von ihr jedoch die Größe und damit auch der Strompreis eines künftigen Fusionskraftwerks abhängen, ist es eines der wichtigsten Ziele, diesen „turbulenten Transport“ zu verstehen, vorherzusagen und beeinflussen zu können.

Weil zur exakten rechnerischen Beschreibung der Plasmaturbulenz hochkomplexe Gleichungssysteme zu lösen und zahllose Rechenschritte auszuführen wären, bemüht man sich bei der Codeentwicklung um sinnvolle Vereinfachungen. Der im IPP entwickelte GENE-Code fußt auf einem Satz vereinfachter, sogenannter gyrokinetischer Gleichungen. Sie lassen alle Erscheinungen im Plasma außer Acht, die für den turbulenten Transport keine große Rolle spielen. Obwohl sich der Rechenaufwand so um viele Größenordnungen senken lässt, waren dennoch zur Weiterentwicklung des Codes stets die weltweit schnellsten und leistungsstärksten Supercomputer nötig. Inzwischen kann GENE die Bildung und Ausbreitung kleiner niederfrequenter Plasmawirbel im Plasmainneren gut beschreiben und die experimentellen Ergebnisse reproduzieren und erklären – allerdings zunächst nur für die einfach aufgebauten, weil achsensymmetrischen Fusionsanlagen vom Typ Tokamak.

Zum Beispiel zeigten die Rechnungen mit GENE, dass schnelle Ionen den turbulenten Transport in Tokamak-Plasmen stark verringern können. Experimente am Garchinger Tokamak ASDEX Upgrade konnten dieses Rechenergebnis bestätigen. Die nötigen schnellen Ionen lieferte die zielgenau eingesetzte Plasmaheizung mit Radiowellen der Ionenzyklotron-Frequenz.

Ein Tokamak-Code für Stellaratoren
Bei Stellaratoren hatte man diese Turbulenz-Unterdrückung durch schnelle Ionen experimentell bislang noch nicht beobachtet. Neueste Rechnungen mit GENE legen nun jedoch nahe, dass es diesen Effekt auch in Stellarator-Plasmen geben sollte: Im IPP-Stellarator Wendelstein 7-X in Greifswald könnte er die Turbulenz theoretisch um mehr als die Hälfte senken. Wie die IPP-Wissenschaftler Alessandro Di Siena, Alejandro Bañón Navarro und Frank Jenko in der Fachzeitschrift Physical Review Letters zeigen, hängt die optimale Ionentemperatur stark von der Form des magnetischen Feldes ab. Professor Frank Jenko, Leiter des Bereichs Tokamaktheorie im IPP in Garching: „Falls sich dieses rechnerische Ergebnis in zukünftigen Experimenten mit Wendelstein 7-X in Greifswald bestätigen sollte, könnte dies einen Weg zu interessanten Hochleistungsplasmen eröffnen.“

Um GENE zur Turbulenz-Berechnung in den komplizierter geformten Plasmen der Stellaratoren zu benutzen, waren größere Code-Anpassungen nötig. Denn ohne die Achsensymmetrie der Tokamaks muss man bei den Stellaratoren mit einer wesentlich komplexeren Geometrie zurechtkommen.

Für Professor Per Helander, Leiter der Abteilung Stellaratortheorie im IPP in Greifswald, sind die mit GENE angestellten Stellarator-Simulationen „physikalisch sehr spannend“. Er hofft, dass sich die Ergebnisse im Greifswalder Stellarator Wendelstein 7-X überprüfen lassen. „Ob die Plasmawerte in Wendelstein 7-X für solche Experimente geeignet sind, können wir untersuchen, wenn in der kommenden Experimentierperiode neben den jetzigen Mikrowellen- und Teilchenheizungen auch die Radiowellenheizung in Betrieb gehen wird“, sagt Professor Robert Wolf, dessen Bereich für die Plasmaheizungen zuständig ist.

Aus GENE wird GENE-3D
Ein weiterer „gewaltiger Schritt“ war es, so Frank Jenko, GENE nicht nur näherungsweise, sondern komplett für die komplexe, dreidimensionale Form der Stellaratoren zu ertüchtigen. Nach nahezu fünf Jahren Entwicklungsarbeit liefert der jetzt im „Journal of Computational Physics“ von Maurice Maurer und Koautoren vorgestellte Code GENE-3D eine „schnelle und dennoch realistische Turbulenzberechnung auch für Stellaratoren“, so Frank Jenko. Im Unterschied zu anderen Stellarator-Turbulenzcodes beschreibt GENE-3D dabei die volle Dynamik des Systems, d.h. die turbulente Bewegung der Ionen und auch der Elektronen über das gesamte innere Volumen des Plasmas, inklusive der resultierenden Schwankungen des Magnetfelds.

Originalveröffentlichungen
·       Di Siena, A. Bañón Navarro, F. Jenko: Turbulence suppression by energetic particle effects in modern optimized stellarators. In: Physical Review Letters, 2020, https://doi.org/10.1103/PhysRevLett.125.105002
·       M. Maurer et al.: GENE-3D – A global gyrokinetic turbulence code for stellarators.
In: Journal of Computational Physics, 2020, https://doi.org/10.1016/j.jcp.2020.109694

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