Dass sich einzelne unter Millionen Bakterien von einer Antibiotika-Behandlung oder unserem Immunsystem unbeeindruckt zeigen, ist eine der großen Herausforderungen in der Infektionsmedizin. Wissenschaftler des Würzburger Helmholtz-Instituts für RNA-basierte Infektionsforschung (HIRI), einem Standort des Helmholtz-Zentrums für Infektionsforschung (HZI), zeigen nun im Fachmagazin Nature Microbiology mit einem neuen Verfahren, wie sie die Aktivität von Genen in individuellen Bakterien bestimmen können. Mit ihrem neuen Verfahren der bakteriellen RNA-Einzelzellsequenzierung könnte man künftig herausfinden, welche Tricks Bakterien zur Ausbildung von Resistenzen nutzen, und diese Schlupflöcher mit passgenauen Medikamenten schließen.

„Auch unter Bakterien gibt es Individualisten“, sagt Prof. Jörg Vogel, Direktor des HIRI und gleichzeitig Vorstand des Instituts für molekulare Infektionsbiologie an der Medizinischen Fakultät der Julius-Maximilians-Universität Würzburg. „Sie heben sich von der Masse ihrer genetisch identischen Artgenossen ab und trotzen lebensbedrohlichen Bedingungen, wie etwa dem Einfluss eines Antibiotikums.“ Wie genau sie das schaffen, und welche Eigenschaften diese Individuen aus bakterieller Sicht zu Superhelden machen, ist bislang noch nicht verstanden. Das Forscherteam um Jörg Vogel und Dr. Emmanuel Saliba, Leiter der HIRI-Arbeitsgruppe Einzelzellanalyse, ist mit seiner aktuellen Studie hier einen großen Schritt vorangekommen: Es ist gelungen, einzelne Bakterien mithilfe der sogenannten RNA-Einzelzellsequenzierung zu untersuchen. Doch was muss man sich darunter vorstellen und welche Informationen liefert diese Methode?

In einem Bakterium sind nicht immer alle vorhandenen Gene aktiv, aber immer diejenigen, die für den Stoffwechsel unter den jeweils herrschenden Bedingungen notwendig sind. Der genetische Code eines aktivierten Gens wird in RNA (englisch: ribonucleic acid) umgeschrieben. Die RNA wiederum dient als Vorlage für die Herstellung von Proteinen, die bestimmte Funktionen innerhalb der Zelle erfüllen. „Die Gesamtheit der in einem Bakterium vorhandenen RNA – das sogenannte Transkriptom – zeigt daher genau an, was zu diesem Zeitpunkt und den gegebenen Umständen notwendig ist, um zu überleben“, sagt Saliba. „Wenn es uns gelingt, das Transkriptom eines Bakteriums zu analysieren, das sich erfolgreich gegen eine antibiotische Behandlung durchsetzt, können wir tiefer in seine Trickkiste schauen.“

Die RNA-Einzelzellsequenzierung (englisch: single-cell RNA-seq) ist für Zellen eukaryotischer Organismen, zu denen der Mensch, Tiere und Pilze gehören, bereits etabliert. Bei Bakterien aber gelang sie bisher nicht. Die RNA eukaryotischer Zellen weist an einem Ende eine kurze Kette aus hintereinandergeschalteten RNA-Bausteinen namens Adenosin – kurz A genannt – auf. „Dieser Poly-A-Schwanz ist für das bisherige Verfahren der RNA-Einzelzellsequenzierung der entscheidende Ansatzpunkt für die Isolierung der RNA“, sagt Saliba. „Bei der bakteriellen RNA gibt es aber keinen Poly-A-Schwanz. Daher war eine Analyse der RNA einzelner Bakterien bisher nicht möglich.“

Eine Bakterienzelle besitzt darüber hinaus auch nur sehr geringe Mengen an RNA, nämlich im Femtogramm-Bereich (billiardstel Gramm), was die Detektion und Isolation bakterieller RNA zusätzlich erschwert. Die HIRI-Forscher haben in ihrer Studie daher ein Poly-A-unabhängiges Verfahren namens MATQ-seq (englisch: multiple annealing and dC-tailing-based quantitative single-cell RNA-seq) genutzt. Hier wird die bakterielle RNA auf andere Weise gewonnen und kontrolliert vermehrt, sodass die RNA-Menge für eine anschließende Analyse und die Erstellung eines RNA-Profils ausreicht.

In ihren Untersuchungen haben die HIRI-Forscher Bakterien der gut bekannten Gattung Salmonella unterschiedlichen Stressbedingungen ausgesetzt. Eine Probe wurde einem Salzschock ausgesetzt, eine andere unter Sauerstoffabschluss gesetzt. Anschließend haben die Wissenschaftler mithilfe der neuartigen Methode der RNA-Einzelzellsequenzierung die jeweiligen RNA-Profile erstellt und mit RNA-Profilen von Salmonella-Kulturen aus einer Datenbank verglichen, die zuvor denselben Stressbedingungen ausgesetzt waren. „Salmonella diente in unserer Studie als Modellorganismus. Wir wollten prüfen, ob unsere Methode funktioniert“, sagt Vogel. „Und das tut sie – die RNA-Profile aus unseren Untersuchungen stimmten mit denen aus der Datenbank überein.“ Dass die RNA-Einzelzellsequenzierung nun auch für Bakterien funktioniert, eröffne ganz neue Möglichkeiten in der infektionsbiologischen Forschung.

„Wir sind mit der RNA-Einzelzellsequenzierung einen großen Schritt vorangekommen, um bakterielle Krankheitserreger und die Entstehung von Antibiotika-Resistenzen besser zu verstehen und mögliche Ansatzpunkte für wirksame Medikamente zu finden“, sagt Vogel weiter. Wie in der in Nature Microbiology erschienenen Arbeit gezeigt, funktioniert das Verfahren auch bei Pseudomonaden, also Bakterien, die die Lunge besiedeln.

Originalpublikation:

Fabian Imdahl, Ehsan Vafadarnejad, Christina Homberger, Antoine-Emmanuel Saliba, Jörg Vogel: Single-cell RNA-sequencing reports growth-condition-specific global transcriptomes of individual bacteria. Nature Microbiology 2020, doi: 10.1038/s41564-020-0774-1.

Über die Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung GmbH

Das Helmholtz-Institut für RNA-basierte Infektionsforschung (HIRI) wurde im Mai 2017 als gemeinsame Einrichtung des Braunschweiger Helmholtz-Zentrums für Infektionsforschung (HZI) und der Julius-Maximilians-Universität Würzburg (JMU) gegründet. Mit Sitz auf dem Campus des Würzburger Uniklinikums widmet sich das HIRI als weltweit erstes Institut seiner Art der Rolle von Ribonukleinsäuren (RNAs) in Infektionsprozessen. Auf Basis dieser Erkenntnisse werden in einem integrativen Forschungsansatz neue Therapieansätze entwickelt und diese durch Entwicklung pharmazeutischer Anwendungsformen klinisch anwendbar gemacht. www.helmholtz-hiri.de

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