Herr Professor Baumann, wie definieren Sie „Industriellen Druck“?
Prof. Dr. Reinhard R. Baumann: Ich verstehe darunter zunächst die massenweise Herstellung von Druckprodukten für verschiedene Märkte. Das erworbene drucktechnische Knowhow ist auf Produkte und Märkte abseits des traditionellen Drucks übertragbar. Dieser adressierte bisher vor allem den Gesichtssinn und teils auch den Tast- und Geruchssinn. Für den Dekor-, Textil- und Verpackungsdruck gilt das noch. Doch es kommen neue Anwendungen hinzu, die mit menschlichen Sinnen nicht zu erfassen sind. So tun sich mit den Printed Electronics sehr interessante Märkte auf. Offen ist, wer sie bedienen wird.
Welche „gedruckten Funktionalitäten“ stehen am Fraunhofer ENAS im Fokus?
Baumann: Unser Ziel ist es, mit beliebigen Flüssigkeiten definierte Materialmuster auf vorzugsweise flexible Substrate zu drucken. Diese Muster müssen ohne Nachbearbeitung höchsten Anforderungen an die Präzision und Schichtdicken genügen. Gedruckt wird mit Silber und weiteren, oft sehr teuren Leiter- und Halbeitermaterialien auf Nanopartikelbasis. Hinzu kommen UV-Tinten als Isolatoren. Leiter, Halbleiter und Isolatoren sind Grundzutaten der Elektronik. Damit lassen sich Leiterplatten mit Widerständen, Dioden und Transistoren oder auch Batterien und Antennen realisieren. Vorteil: Material wird nur dort aufgetragen, wo es wirklich benötigt wird. Gegenüber Ätz- und Laserverfahren sinken der Materialeinsatz, die Dauer und der Aufwand der Fertigung sowie der Recyclingaufwand. Auch sind Vakuum- oder Reinraumbedingungen beim Druck verzichtbar. Dennoch liegt die Ausbeute beim Druck von Transistoren über 90 Prozent. Wir haben Zehntausende davon gedruckt, die Parameter und Geometrien immer weiter verfeinert und erkannt: Je kleiner die Transistoren, desto sicherer das Verfahren. Es geht hier nicht um hochkomplexe Mikrochips, doch es gibt Anwendungen.
Welche?
Baumann: Gedruckte Sensornetzwerke, in denen wir großflächig Sensoren drucken. Oder individuell ausgelegte, umweltfreundliche Zink-Braunstein-Batterien. Wir können deren Energiegehalt skalieren und für die jeweilige Anwendung auslegen. Unsere Antennen zielen auf den Ultra High Frequency-(UHF)-Bereich – etwa für RFID-Labels und für noch höhere Kommunikationsfrequenzen. Der RFID-Einsatz in der Logistik krankte bisher daran, dass die massenhaft hergestellten Labels nur partiell funktionierten. Die Ursachen lagen häufig in der dielektrischen Umgebung. Wir passen die Form der Antennen an die spezifische Anwendung an und erreichen dadurch höchst zuverlässige Kommunikation. Wenn wir dreidimensional arbeiten, etwa indem wir Antennen auf die Faltkanten einer Verpackung drucken, funktioniert die RFID-Technik sicher. Gedruckte Funktionen entwickeln wir zudem für das Interieur und Exterieur von Autos und Flugzeugen. Und es gibt weitere interessante Märkte: Die Lab-on-Chip-Technologie, wo wir Membranen im Inkjet-Verfahren drucken und deren Porengrößen dabei exakt skalieren können.
Sind bei Ihnen eher traditionelle oder digitale Druckverfahren im Einsatz?
Baumann: Beides. Wir arbeiten auf der einen Seite mit Sieb- und Tiefdruckverfahren, mit denen wir unter anderem bei den Brennstoffzellen sehr homogene, präzise Schichtdicken realisieren. Auch für hochaufgelöste Muster ist Tiefdruck das Mittel der Wahl. Vor allem aber nutzen wir digitale Inkjet-Verfahren, da wir damit eine enorme Vielfalt an Tinten verarbeiten können. Wir haben Inkjet-Köpfe, die nahezu jede Flüssigkeit ausbringen. Angesichts der sehr hochwertigen Tinten ist es wichtig, die Tintenvolumina im Ink-System zu minimieren.
Inwiefern verändern sich der Druck-Workflow und die begleitende Messtechnik?
Baumann: Wenn Sie den Prozess von der Datenquelle zum Produkt betrachten, ist es eine Fertigungstechnik wie jede andere. Die Druckmaschine ist hier ein Ausgabesystem von vielen. Die Qualitätsprüfung ist dagegen sehr anspruchsvoll. Optische Methoden sichern die Produktion nur bedingt ab. So sind beispielsweise beim Einsatz von keramischen Tinten mit piezoelektrischen Eigenschaften andere Messmethoden gefragt. Hier tut sich ein wichtiges Forschungsfeld auf, das für die Verbreitung des funktionalen Drucks entscheidend sein wird.
Siedeln Sie Ihre Forschung eher in der Drucktechnik oder in der Mikroelektronik an?
Baumann: Für mich ist es allgemeine Fertigungstechnik, in der wir Drucktechnologien einsetzen um neuartige Funktionen in Produkte zu integrieren. Was wir darunter verstehen, lässt sich am Fraunhofer-Leitprojekt „Go Beyond 4.0“ erläutern, das ich koordiniere. Darin erforschen wir die drucktechnische Applikation kabelloser Touchfunktionen im Interieur von Automobilen, den Druck von Sensoren direkt auf Faserverbundwerkstoffen, zum Beispiel auf Flugzeugtragflächen sowie individualisierte Beleuchtungssysteme. Unser Ziel ist es jeweils, in vernetzten Prozessketten Produkte ab Stückzahl 1 zu produzieren. Für die Individualisierung in der Massenproduktion ist der digitale Funktionsdruck optimal geeignet. Der Digitaldruck übersetzt Daten unmittelbar in Funktionen, die in der Fertigungslinie genau da aufgebracht werden, wo ein Kunde sie benötigt. Und das mit geringem Kostenaufwand, Materialeinsatz und mit höchster Zuverlässigkeit. Dieser Ansatz weist über die Industrie 4.0 hinaus und wird in verschiedenen Industrien funktionieren. Wir entwickeln mit einer Partnerfirma in Chemnitz die dafür nötigen modularen Maschinen.
Marktstudien prognostizieren starkes globales Wachstum im Industriellen Druck. Wo sehen Sie – Stand heute – die wichtigsten Wachstumsfelder?
Baumann: Tragende Industrien sind die Automobilindustrie, die für die Elektromobilität neue Energiespeicher und für selbstfahrende Fahrzeuge neue Interieurkonzepte braucht, die Luft- und Raumfahrt sowie Mikroelektronik und Beleuchtung, wo es interessante Nischen für den Funktionsdruck gibt.
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